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Abteilung Ethik

In der globalisierten Geschäftswelt wird Wertemanagement wichtiger - um sich abzugrenzen oder zusammenzuwachse

Chris Löwer Handelsblatt, 14.1.2000

"Wenn man die Manager von Unternehmen nach der Bedeutung von Philosophie für sie befragt, ist meist von Betriebs- und Warenphilosophie die Rede", hat Lutz von Werder in einer Studie feststellen müssen. Der Professor ist praktischer Philosoph und Leiter des Hochschuldidaktischen Zentrums der Berliner Alice-Salomon-Fachschule. Sich auf diese Weise die Philosophie zu Nutze zu machen, ist zwar schon ganz gut, aber eben längst nicht alles.

Managertraining, Beratung bei der Erstellung von Unternehmensleitbildern, der Corporate Identity, von Verhaltensrichtlinien, etwa für den Umgang mit Gentechnik und wertebewusster Firmenführung, sind Aufgabenfelder für praktisch denkende Schöngeister. Unternehmen entdecken langsam dieses Potenzial, schärfen damit ihr Profil. "Gerade im Zuge der Globalisierung, die sich als fast rechtsfreier Raum darstellt, sind Unternehmen vor neue Herausforderungen gestellt, für deren Bewältigung auch eine ethisch reflektierte, wertorientierte Unternehmensführung immer wichtiger wird", erklärt Annette Kleinfeld, Wirtschaftsphilosophin bei der Bickmann & Collegen Unternehmensberatung in Hamburg.

Ethik als schnödes "Repairprogramm" bei Betrug, Korruption und Wirtschaftskriminalität zu begreifen, helfe wenig. Es gehe darum, moralische Verantwortung für weltweite Rechts-, Arbeits-, Umwelt- und Sozialstandards zu übernehmen. Es gehe konkret um Billigproduktion und Ausbeutung der Arbeiter. "Mit einem Set von Werten und Vorstellungen lässt sich gegenüber einem gleichwertigen internationalen Mitbewerber eine unverkennbare Identität schaffen", ergänzt von Werder. "Das ist ein Ansehenszuwachs, der sich über die Lösung pragmatischer, technischer und geldlicher Fragen nicht schaffen lässt." Immer wichtiger seien kulturelle Aspekte bei Fusionen, sagt Kleinfeld. "Unterschiedliche Unternehmenskulturen und Wertestandards sollten in Entscheidungen miteinbezogen werden. So genanntes Wertemanagement bemühe sich darum, Schnittmengen bei Leitbildern zu finden oder diese ganz neu zu bestimmen.

Im Falle einer gelingenden feindlichen Übernahme von Mannesmann durch Vodafone Airtouch schwant Kleinfeld nichts Gutes: "Das wird nicht funktionieren, es gibt zu große Widerstände und Unvereinbarkeiten. Wie da etwas gemeinsames Neues geschaffen werden soll, weiß ich nicht." Es gebe eben Fälle, in denen von einer Fusion abzuraten sei. "Shareholer Value ist nicht die einzige Erfolgskomponente. Wenn Größenwahn zur dominierenden Wertorientierung wird, ist das schlecht."

Gerade Startups und privatisierte Unternehmen hätten dies begriffen. Kleinfeld spricht von einer neuen Generation, die den Wert der Wirtschaftsphilosophie erkenne und nutze. "Das sind Leute, die verstanden haben, dass man auf dem Weg zum Büro Moralstandards nicht auf dem Parkplatz lassen kann." Bei ihren Personalentwicklungsprogrammen setzt Kleinfeld auf die Stärkung ethischer, kommunikativer und interkultureller Kompetenz. In der Praxis werde das beim ethischen Dilemma- und Verstehenstraining, beim Rollenspiel sowie beim Improvisationstheater zur Sensibilisierung für ethische Leitbilder geübt.

Je größer das Unternehmen ist, desto eher kommen Philosophen zum Zuge, sagt von Werder. "An Bedeutung gewinnen philosophisches Managementtraining, kreative Denktechniken und philosophisches Selbstmanagement, bei dem es gilt, sich selbst zu erkennen, zu beherrschen und Probleme zu lösen." So sei ein kompetenteres Miteinander zu erreichen als mit Erlebnispädagogik.

"Allein die Unterschiede angelsächsischer und deutscher Ethiktraditionen wirken sich im Wettbewerb erheblich aus", sagt die praktische Philosophin Annegret Stopczyk aus Berlin, wenn etwa bei der Daimler-Chrysler-Fusion eine "prinzipienorientierte Unternehmensethik" und eine "pragmatische Wirtschafts- und Unternehmensethik" aufeinandertreffen. Dies könne zu Konflikten unter Führungskräften und Mitarbeiten führen.

Stopczyk erklärt die fundamentalen Unterschiede in der Ethik. Wer beispielsweise prinzipienorientiert verhandele, der wolle sein Prinzip für alle Fälle geltend durchsetzen. "Ausnahmen sind da nicht erlaubt, Kompromisse schwer zu finden. Deutsche verhandeln oft prinzipiell und nehmen die Ausgangsbasis als persönliche Basis." Der Führungsstil sei unter diesem Vorzeichen oft autoritär, die Vorstellung, dass ein Prinzip per Diskussion entstehe, gelte als absurd. Entsprechend schwer falle es, mit Vertretern andersdenkender Kulturen zu kommunizieren.

Pragmatische Utilitaristen achteten hingegen darauf, was die Mehrheit wünsche, deren Wille diene der ethischen Legitimation. Die Folge: "Kompromisse sind so leichter zu schließen, Reformen schneller durchzusetzen. Mitarbeiter sind so schneller hinter ein Unternehmensziel zu bringen, weil sie zur Meinungsbildung herangezogen werden." Unternehmensleitlinien würden auf diese Weise nicht bloß von oben verordnet, daher leichter akzeptiert "Den Nachteil hat die Minderheit, die nicht berücksichtigt wird und ethisch schwer etwas einfordern kann." Allseits akzeptierte Werte einzupflanzen, ist die knifflige Aufgabe praktischer Philosophen.

Unterschiedliche Werte treffen nicht nur bei unterschiedlichen Kulturen aufeinander: "Die Ost-West-Zusammenführung ist oft ein ethisches Problem, weil unterschiedliche Ansichten über Werte, erstrebenswerte Ziele und Managementmethoden vorherrschen", erinnert sich Stopczyk an einen Fall, bei dem sie zwischen den Filialen eines Unternehmens in Berlin du Leipzig vermitteln musste. "in der DDR gab es keine Unternehmensethik im Sinne eines unternehmerischen Individuums. Aufgaben wurden kollektiv verteilt, und der Einzelne hatte seine an ihn delegierte Aufgabe zu erledigen, damit die Gruppe das Soll erfüllt", analysiert Stopczyk. Heute würden immer noch Anweisungen erwartet, es mangele an Selbständigkeit und Einfallsreichtum. "Der Westchef mag keinen Filialleiter aus dem Osten einsetzen, weil er zu wenig selbständig den Markt erschließt, wenig Ideen einbringt oder experimentiert", habe die Philosophin beobachtet.

Einerseits fehle die Traute, Verbesserungsvorschläge zu machen, andererseits empfanden westliche Mitarbeiter östliche oft als "Mucker und Hinterhältige, weil sie so wenig von sich einbringen". In einer solchen Situation gelte es, Vor- und Nachteile von kollektiven und individuellen Verhaltensmustern vor Augen zu führen, um gemeinsame Regeln und Leitlinien aufzubauen.

Häufig reagieren Unternehmen auf ihren philosophischen Vermittlungsversuch "als ob ich etwas Verrücktes vorschlage", erzählt die Berliner Philosophin. Gerade wenn ein Unternehmen nicht floriere, ergebe es Sinn, nach Autoritätskonflikten zu fahnden, Kommunikation zu trainieren, Hierarchien abzubauen, zu hinterfragen, nach welchen Werten Führungskräfte lebten oder wie man Meinungen äußert, ohne zu verletzen. "Es kommt darauf an, eine Kommunikation jenseits von Therapie und Psychologie zu initiieren." Ein guter Weg sei, Ethikbüros im Unternehmen einzurichten, die auch in Fragen von Bossing, Mobbing und sexuellen Konflikten am Arbeitsplatz Anlaufstelle seien. In den USA gibt es sie bereits.

Deutschland hinke bei der praktischen Philosophie in Betrieben hinterher, sagt Stopczyk. Solange Philosophie nicht schon in der Schule wie zum Beispiel in Frankreich einen festen Platz habe, vermutet von Werder, werde es schwer, professionelles philosophisches Denken in Betrieben zu verankern. Erschwerend komme hinzu, dass die Ausbildung der Philosophen den Anforderungen kaum gerecht werde: "Wer nur in Sokrates, Hegel und Marx denkt, fährt sein Studium gegen die Wand", warnt von Werder. Die Crux: die philosophische Praxis in Deutschland wird bisher von der akademischen Philosophie nicht anerkannt Dabei fand von Werder bei einer Befragung heraus, dass 64 Prozent von 500 mittleren und großen deutschen Unternehmen Interesse an philosophischem Managertraining haben.

Und Stopczyk klagt: "Das Problem ist, Menschen den Zugewinn zu erklären, die noch nie philosophisches Verständnis besessen haben. Die Philosophie gilt nichts in Deutschland, sie gilt als sinnlicher Luxus."

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