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VOM KAMPF GEGEN DIE GEWALT      

(aus: Neue Generation, Berlin 1932, Heft 1/2/3 , Seite 69ff)

"Realistischer" Pazifismus und Schneider-Creusot.

                                                                                                         I.

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Zu den wahrhaft tragischen Irrtümern und Hemmnissen im Kampf gegen die unheilvolle Weltentwicklung seit Ende des Krieges gehört die aufreizende Einseitigkeit und Ungerechtigkeit, in die sich ein wesentlicher Teil des deutschen Pazifismus — der sich selbst kühn "realistisch" nennt —-- hat drängen lassen.

Aus dem notwendigen Streben nach Selbstkritik, aus dem richtigen Bemühen, sich von blinden nationalistischen Vorurteilen freizuhalten, ist allmählich eine direkt pathologisch wirkende leidenschaftliche Einseitigkeit der Anklage gegenüber den deutschen Fehlern allein geworden und damit ein unüberwindbares Hindernis für wahrhaft objektive gerechte Betrachtung der Kriegsursachen und Kriegsfolgen entstanden. Einige Vertreter dieser Richtung entwickeln anderen pazifistischen Auffassungen gegenüber nach und nach einen Starrsinn, einen Unfehlbarkeitsdünkel, der selbst die berüchtigte päpstliche Unduldsamkeit noch übertrifft. Spätere Zeiten mögen vielleicht Muße und Möglichkeiten haben, diesem Phänomen tiefer psychologisch nachzugehen. Vielleicht wird man dann, neben den subjektiven Ursachen in den führenden Persönlichkeiten, auch die objektiven Gründe dieser sonderbaren Verzerrung des von uns allen erstrebten echten — über den Nationen stehenden — menschlichen Solidaritätsgefühles feststellen können.

Es gehört zum Wesen des "Bußpredigers", daß er dem Volk seine Fehler und Mängel vorhält. Aber damit diese Bußpredigt wirksam werde, müßte man spüren, daß solche Bußprediger selbst mit gutem Beispiel, d. h. mit Buße und Selbstkritik vorangehen. Aber die Härte der Selbstgerechtigkeit mancher Bußprediger unserer Tage wirkt mehr und mehr erschütternd. Sie ist kaum zu überbieten. Auch wo — in aller Verehrung für den Bußprediger — bedeutende Persönlichkeiten der verschiedensten pazifistischen Nuancen und Temperamente in diesem oder jenem Punkt ihre abweichende Meinung darzulegen wagen, werden sie hochfahrend-unnachsichtlich wie Schüler zurechtgewiesen. Ein eigener Irrtum auch nur in diesem oder jenem Punkt, in dieser oder jener Nuance ist für den Führer dieser Bewegung undenkbar. Nie z. B. scheint er sich auch nur einen Augenblick zu fragen: Wie, wenn auch ich einmal, wie es doch menschlich ist, in diesem oder jenem Punkt irren sollte? Wenn ich in dieser oder jener Richtung zu weit gegangen wäre, mich geirrt, verirrt hätte? Selten mag wohl ein Mensch sich von einem an

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sich richtigen Ausgangspunkt aus: dem Bemühen, sich nicht durch Vorliebe für die eigene Nation blenden zu lassen, so bis zum direkten gegenteiligen Fehler treiben lassen: zu der gleichen verhängnisvollen Blindheit einem andern Volke —oder vielmehr einer andern Regierung gegenüber, — zu einer Voreingenommenheit, die man dem eigenen Volke, der eigenen Regierung gegenüber mit Recht gerade sorgsam vermeidet.

Selbstverständlich, auch wir wollen nichts mit jenem blinden Pazifismus zu tun haben, der sich mit dem Glauben tröstet: "der Mensch ist gut". Auch nichts mit jenem Pseudopazifismus, der scheinheilig die Abrüstung der andern verlangt, weil er selbst aufrüsten will. Ebensowenig mit jenem verächtlichen opportunistischen "Pazifismus vor und nach dem Kriege", der immer dann kläglich zusammenbricht, wenn es gilt, standzuhalten. Kein denkender Pazifist wird die Schwere des Gewaltproblems, die Schwierigkeiten seiner Lösung in der nüchternen Wirklichkeit verkennen. "Der Mensch ist gut" — klingt auch uns wie ein Märchen aus alten Zeiten. Aber unsere Kenntnis vom Wesen des Menschen, von der Bedeutung der äußeren Umstände auch für seine geistig-sittliche Entwicklung, unser Wissen um die gewaltigen Mächte des Kapitalismus und Imperialismus und ihre unauflösliche internationale Verflechtung, erlaubt doch nicht mehr, die Schuld am Weltunglück der Gegenwart einem einzigen Volk oder allein seiner herrschenden Schicht aufzuladen. Wieviel wirksamer würde die Kritik der deutschen Fehler sein, wenn dieser Beurteilung dann die ebenso kritische Analyse der seit Herbst 1918 siegreichen Gegner und ihres Verhaltens seitdem folgen würde. Davon ist leider gar keine Rede. Aber hat nicht immer derjenige auch die größte sittliche Verantwortung, der sich im Augenblick im Besitz der größten Macht befindet? Während man immer dem Unterdrückten oder Schwächeren größere Nachsicht schuldet? Das gilt nicht nur dem einzelnen, das gilt ebenso Klassen oder Nationen gegenüber! Unsere Gegnerschaft gegen diesen verhängnisvoll-ungerechten und daher so ganz und gar nicht "realistischen" Pazifismus stammt nicht aus einer oberflächlichen Tendenz, die sich über das Wesen des Menschen und die ungeheure Schwere der Befriedung der Welt täuscht. Im Gegenteil: nur von einer unerbittlich klaren Erkenntnis des menschlichen Wesens und seiner Entwicklungsmöglichkeiten aus scheint uns ein Aufstieg überhaupt möglich. Böses und Gutes, Haß und Liebe sind noch unlösbar gemischt. Den Vergewaltigungswillen müssen wir in unserer nächsten Umgebung, in uns selber, im Pazifismus, in Deutschland überhaupt, aber ebenso in der übrigen

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Welt bekämpfen. Und wir fragen jene "realistischen" Pazifisten, ob nicht — unter andern Ursachen — gerade auch ihre einseitige ungerechte Anklage gegen Deutschland allein mit dazu beigetragen hat, eine junge Generation gegen einen Friedenswillen, gegen eine Bewegung zu erbittern, die einzig und allein den Regierungen und Rüstungsinteressenten anderer Länder gegenüber jenes tiefe, liebevolle Verständnis, jene gütige Duldung, jene stete Bereitschaft zur Rechtfertigung aller ihrer Übergriffe aufbringt, die sie dem eigenen Volk, der eigenen Regierung und ihren Motiven — eingehüllt in den Mantel herber Tugend — mit unnachsichtiger Strenge versagt?

"Man ahnt nicht, wieviel moralische, ja nervöse und physische Gesundheit von der Anleitung zur Objektivität abhängt", schreibt der Führer des "realpolitischen" Pazifismus einmal. Wie wahr! Aber welch ein Jammer, daß ihm diese Objektivität bei seiner politischen Kritik der Gegenwart mehr und mehr fehlt. Man weiß dies Schema schon im voraus: alles ist gut und notwendig, was von der Rechten in Frankreich gefordert wird, alles ist falsch und schlecht, was damit nicht übereinstimmt. So simpel wie Böcke und Schafe kann man aber die Menschen — und die Nationen — nicht scheiden. Sie wäre zum Lachen — diese krasse Ungerechtigkeit —‚ wenn sie nicht so ernste Konsequenzen hätte.

II.

Man soll uns nicht mißverstehen, darum sagen wir es ausdrücklich noch einmal: in vielen wesentlichen Einzelheiten der Kritik an der deutschen Kriegs- und Nachkriegspolitik kommen wir zu gleichen Resultaten. Nur daß wir da weitergehen, wo dieser "Pazifismus" stehenbleibt. Daß wir mit genau derselben Schärfe die Unzulänglichkeiten der ausländischen Militaristen oder Pseudopazifisten erkennen und brandmarken, wie wir es deutschen Fehlern gegenüber glauben tun zu müssen. Weil nur mit voller unbestechlicher Objektivität der Weg aus diesem Dunkel, aus dieser Verwirrung und Verhetzung gefunden werden kann. Was mag wohl jener "realistische" Pazifismus mit dem Material anfangen, das Paul Faure in der französischen Kammer vom 11. Februar d. J. vorgelegt hat? Der verdienstvolle "Pressedienst der Internationalen Antimilitaristischen Kommission" hat in seiner Nr. 92 vom 6. April d. J. eine ausführliche Wiedergabe dieser dem offiziellen stenographischen Protokoll der französischen Kammer vom 12. Februar 1932, Nr. 17, Seite 572ff. entnommenen Enthüllungen gebracht. Läßt sich auch diesem Material gegenüber noch die Theorie aufrechterhalten, nur in Deutschland gebe es einen vor-

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werflichen Willen zum Kriege? Während alle Waffen und Heere sonst in der Welt nur als "Notwehr" gegen das grausame Untier Deutschland zu bewerten seien? Ist auch die Firma Schneider-Creusot, sind auch ihre Erzeugnisse,. ihre Methoden nur eine Folge, eine Erfindung des preußischen Militarismus??

Schlimm und peinlich, daß man im Kampf ~m die menschliche Höherentwicklung immer noch, immer wieder Dinge sagen, betonen, hervorheben muß, so selbstverständlicher Art, daß man sich fast schämt, sie auszusprechen. Z. B., daß sowohl die Ursachen des Krieges wie die Konflikte der Nachkriegszeit nicht bei einer einzigen verbrecherischen Nation oder Schicht dieser Nation liegen — weder allein an Deutschland noch an Frankreich —‚ sondern an einer ganzen Reihe von Gründen. Die menschliche Natur — nicht nur die deutsche oder preußische — mit ihrem noch nicht überwundenen Aggressionstrieb — Haßtrieb, Zerstörungstrieb — darf dabei als dauernde latente Ursache nicht vergessen werden. Aber ebensowenig kann als einer der stärksten akuten Anlässe das internationale Rüstungs- und Bankkapital einfach ignoriert werden, wie es durch diese Art des Pazifismus geschieht. Daß auch Frankreich hier keine Ausnahme macht, dafür bringt die Rede des Sozialisten Paul Faure in der Pariser Kammer zwingende, unwiderlegliche Beweise.

                                                                                                    III

Ohne Widerspruch zu finden, konnte Faure mitteilen, die französische Regierung habe über die "Banque générale de crédit hongrois" einen erheblichen Betrag an das faschistische Ungarn geliehen, ohne das Parlament oder die Finanzkommission zu befragen. Nutznießer scheint auch in diesem Fall die Rüstungsfirma Schneider-Creusot zu sein. Die Bank "De l‘Union parisienne", deren Direktor Eugen Schneider ist, finanziert die oben genannte "Banque générale de crédit hongrois". Sie hat in Zusammenarbeit mit der Firma Schneider-Creusot die "Union Europénne industrielle et financiére" gegründet, die gleichfalls bei der "Banque généale de crédit hongrois" interessiert ist. Sie beherrscht bekanntlich die Skoda-Werke in Pilsen, den großen Rüstungsbetrieb der Tschechoslowakei. Der Vorsitzende dieser "Union Europdenne industrielle et financiére" Ist wiederum Herr Eugen Schneider. Im französischen Senat behauptete vor kurzem General Bourgeois, Ungarn bewaffne sich im geheimen, so daß es imstande wäre, 300000 Mann gegen die mit Frankreich militärisch verbundene Tschechoslowakei aufzustellen. Bezeichnend ist, daß diese geheime Bewaffnung Ungarns durch das franzö-

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sische Rüstungskapital erfolgt, und zwar mit den Spargeldern der französischen Bürger! Paul Faure weist in diesem Zusammenhang auf die Gefahr eines Zusammengehens zwischen einem hitlerianischen Deutschland mit dem faschistischen Ungarn hin, das durch Männer wie Horthy und Graf Bethlen regiert wird. Pierre Qucsnay, der Direktor der Internationalen Bank, hat Graf Bethien den größten Schwindler und Fälscher dieses Jahrhunderts genannt. Nach den Mitteilungen Faures hat die Firma Schneider in den letzten Jahren Waffen geliefert unter anderm an folgende Länder: Mexiko, Serbien, Griechenland, Japan, Rumänien, Türkei, Bulgarien, Montenegro, Rußland, Argentinien, Spanien, Italien. Für alle diese Operationen wurden Banken gegründet, die zu gleicher Zeit Interessen in dem betreffenden Lande und in Frankreich besitzen. So beispielsweise die Banque hypothécaire d‘Argentine, worin De Neuflize und Villars, Mitglieder des Aufsichtsrates der Firma Schneider-Creusot, sitzen. Der gleiche De Neuflize sitzt auch in der ottomanischen Bank.

Japan wird durch Schneider und Skoda bewaffnet; gewiß einer der Hauptgründe, warum man trotz des "geächteten" Krieges Japan von seiten des Völkerbundes nicht in den Arm gefallen ist. Es scheint durchaus nicht ausgeschlossen, daß Schneider und Skoda auch China bewaffnen. Jedenfalls schreibt in der "B. Z. am Mittag" vom 15. oder 16. Februar H. R. Berndorff in einem Artikel: "Die vollendetste Kriegsmaschine der Welt" unter anderm das folgende: "Japan und China ringen miteinander; der Streit der großen Rüstungskonzerne der Welt um den Profit in diesem blutigen Ringen, um das Lieferungsgeschäft ist zu Ende. Schneider-Creusot und Skoda haben gesiegt. Schneider-Creusot liefert ausschließlich nach Japan." Weiter teilt er mit, daß Schneider Tanks an Japan liefert und Skoda Mörser und vor allem Maschinengewehre an China.

In der französisch-japanischen Bank sitzt der Herr De Saint-Sauveur, ein Familienmitglied von Schneider. Präsident dieser Bank war der französische Marineminister Charles Dumont, wie "La Lumiére" mitgeteilt hat. Dieser Minister vertritt Frankreich auf der Abrüstungskonferenz in Genf. Der Minister fiir den Etat Pkétri erklärte darauf, daß Minister Dumont in diesem Augenblick nicht bei der Bank beteiligt sei, worauf Faure entgegnete, daß er vielleicht aus der Bank ausgetreten sei, als er Minister wurde, aber dorthin auch wieder zurückkehren werde, so daß dieser schnelle Wechsel niemanden auf eine falsche Spur bringen werde.

Selbstverständlich ist dieses System übernationer Kre –

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ditgewährung und der engen Verknüpfung mit Rüstungslieferungen nicht nur für Frankreich charakteristisch. Karl Liebknecht hat 1913 ähnliche Zusammenhänge zwischen Krupp und der französischen Rechtspresse aufgedeckt (,‚Figaro"). Und eben berichtet auch Rudolf Braune in der "Weltbühne" vom 5. April d. J. über Rüstungsarbeit in Deutschland. Aber gerade im Augenblick liegt durch die Rede Faures eben genaues Material über Frankreich vor. Er zeigt in einem überaus lehrreichen historischen Rückblick, daß Waffenlieferungen von Schneider an ausländische Mächte immer mit Anleihen an jene Mächte durch Frankreich zusammenfallen. Dem zaristischen Rußland wurden 100 Millionen geliehen, trotz der Warnungen von Jaurés, daß dieses Geld niemals zurückgezahlt werden würde. Bulgarien empfing zwischen 1902—1907 350 Millionen Goldfranks; die Stücke jener Anleihe sind jetzt nichts mehr wert. Mexiko erhielt 2797000 Franken, die völlig verloren sind. Auch Griechenland und Japan erhielten Geld von der Republik, um bei Schneider Waffen zu bestellen. Auf die Anleihen in Rumänien wurden 4 Milliarden Papier-franken verloren. Die Türkei erhielt 15 französische Anleihen. Die letzte im Jahre 1914, womit der Krieg gegen Frankreich finanziert wurde. Diese Papiere stehen jetzt auf 4 %des ursprünglichen Wertes. Faure zeigte eine Photographie des Prinzen Ferdinand von Bulgarien mit Eugen Schneider in der Fabrik zu Creusot, als er die Kanonen kaufte, mit welchen die Franzosen im Weltkrieg beschossen wurden. Als das bulgarische Parlament sich weigerte, die übertrieben großen Waffenankäufe bei Schneider zu genehmigen, erklärte die französische Regierung, daß die Anleihe an Bulgarien nur gewährt werde, wenn die Waffenkäufe perfekt würden, so daß das Parlament sich wohl oder übel dazu entschließen mußte.

Im Jahre 1914 besuchte der Marineminister der Türkei die Fabriken von Schneider in Creusot, deren Ingenieure ihn in die Geheimnisse der nationalen Verteidigung einweihten und ihn über die neuesten Erfindungen unterrichteten. Mit dem soeben von Frankreich geliehenen Gelde erteilte er große Bestellungen, die aber wegen des Ausbruches des Weltkrieges nicht ausgeführt werden konnten. Darauf wurden mit dem französischen Geld die notwendigen Einkäufe bei Krupp und in den österreichisch-ungarischen Werken von Skoda unternommen. Somit führte die Türkci den Krieg gegen Frankreich mit französischem Geld. Mehr als 214 Milliarden Franken haben die französischen Sparer durch derartige ausländische Anleihen verloren. Man bemerke, daß unter diesen Schuldnern Deutsch-

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land nicht vertreten war. Auch an andern Ländern hat also das französische Volk —- durch Schuld des französischen Rüstungskapitals — Hunderte von Millionen verloren. So begreift man gut, meint Faure, warum die Sparsamkeit in Frankreich als größte nationale Tugend gepriesen wird.

Aber das schlimmste ist doch, daß die Menschen aus all diesen ebenso furchtbaren wie beschämenden und schändlichen Vorgängen in keinem Lande lernen. Auch die französische Rüstungsindustrie — und mit ihr die französische Regierung — geht trotz all dieser Erfahrungen auf demselben Wege weiter. Man leiht nicht nur an Ungarn. Man leiht auch an Jugoslawien, obwohl ein serbischer Exminister ausdrücklich erklärt hat: "Eine zukünftige, auf Grund des Wahlrechts zustandekommende Regierung werde niemals die Schulden der jetzigen Diktatur anerkennen." Rumänien erhält eine Anleihe, und unmittelbar danach erscheint eine rumänische Militärmission bei Creusot. Faure weist darauf hin, daß in der Hitlerpresse rückhaltlos über das Zusammenarbeiten eines nationalsozialistischen Deutschlands mit Karl von Hohenzollern, dem König von Rumänien, gesprochen werde. Von den französischen Nationalisten wird — begreiflicherweise — das Wachstum der nationalsozialistischen Bewegung als Argument für neue Rüstungssteigerungen in Frankreich benutzt. Nach dem.,,Journal" sind allein aus der Schweiz 300 000 Goldfranken an Hitlers Wahlfond geflossen, wofür in Holland Prof. v. Bissing gesammelt hatte. Tausende von Dollars aus Amerika, Beiträge von Großindustriellen deutscher Herkunft in der Tschechoslowakei, wie von Duschitz und Athaber und von den Direktoren der Skoda-Fabriken, kontrolliert durch Schneider - Creusot. So w ird der deutsche Revanchekrieg gegen Frankreich durch von Creusot abhängige Werke finanzirt. (Soeben kommt die Nachricht, daß der schwedische Zündholzbeherrscher — jetzt als Schwindler entlarvte — Ivar Kreuger. der holländisch-englische Ölmagnat Deterding eben falls die Bürgerkriegsarmee Hitlers gespeist haben. Wen wundert das?) Als in Creusot in vergangenen Jahr zwei sozialistische Abgeordnete gewählt worden waren, wurden 200 sozialistische organisierte Arbeiter von der Firma entlassen, darunter Kriegs- und Arbeitsinvaliden.

Aus den Dokumenten, die Paul Faure ferner noch vorführte, geht hervor, daß die Firma Schneider 1000 kg Schießpulver B. G. 4 für Patronen für Mausergewehre an die Mauserfabriken in Leipzig geliefert hat, zweitens, daß die Firma Schneider bei der Regierung um Genehmigung nachgesucht hat zur Ausfuhr von 2200 kg Schießpulver B. M. 11 und von 200 kg B. M. 13, zu liefern an die Firma Paul

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Capit in Baden 1). Bezeichnend ist, daß die französische Presse, mit Ausnahme des "Populaire", all diesen Feststellungen gegenüber sich ausschweigt. Aber dieses Schweigen ist erklärlich, wenn man weiß, daß selbst die großen, tonangebenden Blätter wie "Le Matin" und "Le Temps" in den Händen des französischen Rüstungskapitals sind.

Im ungarischen Parlament hat Paul Faures Rede ein Nachspiel gehabt. Die ungarische Regierung hat nach der Mitteilung des sozialdemokratischen Abgeordneten Kertesz der französischen Regierung mitgeteilt, daß die allgemeine ungarische Kreditbank (die oben genannte "Banque généale de crédit hongrois") geschlossen werden müsse, wenn nicht französische Hilfe komme. Um die in Ungarn investierten französischen Kapitalien zu retten, hat die französische Regierung daraufhin die Anleihe gewährt. Der Betrag der Anleihe wurde an die "l'Union Europénne" und an die "Banquc de l‘Union Parisienne", zwei Unternehmen von Schneider in

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1) Zu dieser Mitteilung von Paul Faure tritt noch auf Grund eines Briefes vom 2. April d. J. an den Preußischen Minister des Innern durch die Gruppe Revolutionärer Pazifisten ergänzend die Behauptung, daß Hitler im Einverständnis mit der Regierung Tardieu-Laval nicht nur von Schneider-Creusot und Skoda-Pilsen subventioniert, sondern auch mit Sprengstoffen (Artillerie-Geheim- pulver B. M. 11 und B. M. 13) versorgt werde. "Der Abgeordnete Paul Faure aber hat — wie in diesem Brief erklärt wird — unserer - Information nach seine Behauptungen durch die Photographie -eines ministeriellen Briefes an Herrn Schneider-Creusot erhärtet, die er am 11. Februar auf den Tisch der Kammer niederlegte. Widerspruch ist nicht erfolgt. Der französische Kriegsminister hat zugegeben, daß es sich um geheimes Artilleriepulver handelt. Nach § 1 des Sprengstoffgesetzes vom 9. Juni 1884 ist ‚der Besitz von Sprengstoffen sowie die Einführung derselben aus dem Auslande‘ ‚nur mit polizeilicher Genehmigung zulässig‘. (Die Einschränkung durch Absatz 3 kommt nicht in Frage.) Es erscheint uns ausgeschlossen, daß Herr Hitler oder seine Hintermänner zur Einfuhr französischer Sprengstoffe die Genehmigung der preußischen Polizei oder der Polizei eines der andern deutschen Länder nachgesucht und erhalten haben. Wir gestatten uns gleichwohl, anzufragen, ob sie erteilt wurde; wenn dies, wie wir keinen Augenblick zweifeln, nicht der Fall war: was, sehr geehrter Herr Minister, gedenken Sie dann zu tun? Mehrfach sind letzthin Arbeiter, bei denen nur ganz geringe Mengen Sprengmaterial gefunden worden waren, zu langjährigen Zuchthausstrafen verurteilt worden; wir können nicht annehmen, daß Herr Hitler heute schon als unverantwortlich über dem Gesetz steht."                

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Aufrechnungen der Forderungen Schneiders in Ungarn überwiesen. Auf diese Interpellation hat die Regierung sich in Schweigen gehüllt.

"Süß und ehrenvoll ist es also in Zukunft, für die Interessen der Firma Schneider-Creusot oder einer andern Rüstungsfirma — denn Name ist Schall und Rauch — zu töten und zu sterben 2)?"

Wird der "realistische" Pazifismus diese peinlichen Tatsachen nun ebenso anprangern, wie wenn diese Feststellungen sich auf Deutschland bezögen?

Mir schiene es nicht ohne Nutzen für den Weltfrieden, wenn der "realistische" Pazifismus und mit ihm die Tardieu-Regierung und ihre Freunde sich die Geschichte auch einmal von der andern Seite aus ansehen würden. "Die Wahrheit" vom 15. April d. M. in Prag schreibt: "Ihr demokratischen Freunde im Westen und Süden! Setzt keine heuchlerischen Leichenbittermienen auf! Nein, ihr Herren Engländer,Franzosen, ihr Herren Alliierten und Assoziierten, die ihr den großen Krieg im Namen der Weltrevolution geführt und gewonnen habt, — ihr habt heute nicht das Recht, die Hände über ein von allen demokratischen Geistern verlassenes Deutschland zu ringen und die Deutschen als das unpolitischste Volk der Erde abzutun! Nein, vor dem Richterstuhl der Geschichte werdet ihr, jawohl ihr, einmal als Meuchler und Verderber der deutschen Seele dastehen! Wem hat es Hitler zu verdanken, daß er heute durch alle deutschen Lande herumtrommeln darf? ‚Vierzehn Jahre Bankrott der Systemparteien, vierzehn Jahre Bankrott der Weimarer Republik, vierzehn Jahre Bankrott der deutschen Demokratie!‘?

Ja, vierzehn Jahre habt ihr ein tüchtiges, stolzes, selbstbewußtes Volk in ein caudinisches Joch gespannt, vierzehn Jahre habt ihr Raubbau an dem Selbstbewußtsein, an dem seelischen Gleichgewicht dieses Volkes getrieben, vierzehn Jahre habt ihr es an jedem guten Willen der Außenwelt verzweifeln lassen, vierzehn Jahre habt ihr den kleinsten südamerikanischen Staat mehr ästimiert als ein Sechzigmillionenvolk im Herzen Europas. Ihr habt Gift, Galle und Verzweiflung in die deutsche Seele geträufelt. Ihr habt einen Mann des neuen Deutschland gezwungen, den vertrag von Versailles zu unterzeichnen, ihr habt keinen Unterschied gemacht zwischen dem Deutschland Eberts und Stresemanns

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2) Wir verweisen bei dieser Gelegenheit auf die sehr instruktiven Werke von Otto Lehmann-Rußbüldt: "Die blutige Internationale der Rüstungsindustrie", Fackelreiter-Verlag. Hamburg-Berlin 1929, und "Die Revolution des Friedens". Laubsche Verlagsbuchhandlung, Berlin 1932.

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und dein wilhelminischen Deutschland, ihr habt Weimar, Ebert und das ganze neue Deutschland schuldig werden lassen, und dann habt ihr es der Pein des deutschen Faschismus überlassen.

Wundert euch nicht, wenn das Trommeln weitergeht. Hitler erntet, was ihr gesät habt. Wollt ihr seine Ernte vernichten, dann müßt ihr erst eure Saat ausreißen. Und wenn diesmal ‚Großmutter noch nicht gestorben ist‘ — dann ist es bei Gott nicht euer Verdienst." H. St.

 

Goethes Mutter und die Guillotine.

Eine der erfreulichsten Frauenerscheinungen in Goethes Leben ist Goethes Mutter. Wir möchten dem Dichter manchmal zürnen, daß er, nur wenige Stunden von Frankfurt in Weimar entfernt, so viele Jahre seines Lebens hindurch die Mutter nicht persönlidi aufgesucht hat. Sie hatte aus ihrer warmen Natur heraus immer das vollste Verständnis für Bettina Brentano, die zu ihren Füßen saß und aus ihrem Munde die Erzählungen über Goethes Jugend sich einprilgte und niederschrieb, die Goethe dann in "Dichtung und Wahrheit" zum Entzücken der Nachwelt verwendet hat. Vor kurzem wurde in der Presse an eine so köstlich-menschliche wie energische Abwehr der Frau Rat erinnert, die von ihrer erfrischenden geistigen Unabhängigkeit sogar dem Sohn gegenüber zeugt.

Frau Rat mußte häufig auf der Frankfurter Messe auf Wunsch ihres Sohnes für den Enkel dies und jenes Spielzeug besorgen, von dem Goethe irgendwie gehört hatte. So hatte der Dichter erfahren, daß auf der Messe des Jahres 1795 Miniatur‘Guillotinen als Kinderspielzeug gezeigt wurden. Und Goethe hatte die Mutter gebeten, ihm ein Exemplar für seinen sechsjährigen August zu schicken. Goethe erschien demnach offenbar auch im Jahre 1795 die Guillotine noch als ein ebenso unvermeidbares Übel wie in dem verhängnisvollen Jahre 1779, wo er als Minister durch seine Zustimmung zur Todesstrafe über das Leben der Kindesmörderin entschied. Die auch in dieser Beziehung weit fortgeschrittenere Mutter antwortete: "Alles. was ich Dir zu Gefallen tun kann, geschieht gern und macht mir selbst Freude — aber eine solche infame Mordmaschine zu kaufen — das tue ich um keinen preiß — was! Die Jugend mit so etwas abscheuliches spielen zu lassen, ihnen Mord- und Blutvergießen als ein Zeitvertreib in die Hände geben — nein~ da wird nichts draus." Man sollte Frau Rat zur "Ehrenvorsitzenden des Weltbundes der Mütter gegen den Krieg" ernennen.

Übrigens soll es heute noch Firmen geben, die Drahtverhaue, zerschossene Kirchen und Wohnhäuser als "Kinderspielzeug" herstellen. Und schlimmer noch, daß heute — beinahe 140 Jahre nach jener leidenschaftlichen Ablehnung durch Goethes Mutter — die

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Menschen dieses grausame Spiel des gegenseitigen Umbringens auch im Ernst noch nicht lassen können. Wann? Wann‘~

 

Lord Ponsonby

Vorsitzender der "Internationale der Kriegsdienstgegner".

Die in der Osterwoche 1921 in Bilthoven in Holland begründete, noch heute nach den Grundsätzen ihres dort geschaffenen Manifestes arbeitende "Internationale der Kriegsdienstgegner" hat sich einen neuen Vorsitzenden gegeben. Fenner Brockway, der bisherige Vorsitzende hat, als Führer der Englischen Unabhängigen Arbeiterpartei schwer überlastet, sein Amt niederlegen müssen. Lord Arthur Ponsonby hat erfreulicherweise dieses Amt übernommen. Er gehörte mit E. D. Morel, dem leider schon 1924 verstorbenen leidenschaftlichen Kämpfer gegen die Alleinschuld Deutschlands, jener Gruppe von "Baumeistern des Friedens" an, die sich in England von Beginn des Krieges an mit Macdonald, Charles Rhoden Buxton u. a. zu der "Union für demokratische Kontrolle" zusammenschloß. Lord Ponsonby hat als Minister im ersten Labourkabinett als Unterstaatssekretär des Auswärtigen Amtes gewirkt und ist zur Zeit Führer der Opposition im House of Lords. Auch im Auslande ist er besonders bekannt geworden durch seine Bücher: "Jetzt ist es Zeit" (nämlich gegen den Krieg zu kämpfen), "Lügen in Kriegszeiten". Wir radikalen Pazifisten sind ihm besonders dankbar für die sogenannte Ponsonby-Aktion, jene Eingabe an den englischen Premierminister, in der 128000 Engländer durch ihre Unterschrift versicherten, sie würden sich an keinem Kriege beteiligen. In Deutschland ist damals in ähnlichem Sinne gewirkt worden. Nur freilich hat sich inzwischen die Technik der Kriegführung so verändert, daß auch die Bekämpfer des Krieges nach neuen Methoden und neuen Wegen suchen müssen, wenn sie erfolgreich sein wollen. Unter der Führung einer so bewiesenen Persönlichkeit wie Lord Arthur Ponsonby wird die Bewegung gewiß nicht zögern, sich an dieser Aufgabe: (1er Schaffung der wirksamsten Methoden der Kriegsbekämpfung zu beteiligen.