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Die Männerbewegung.

Aus: Die Liebe und die Frauen, Minden 1906

(1897)

Seite 38 (nach Original)

Wenn wir heute unsere tüchtigsten, höchst- entwickelten Frauen nach ihrer Stellung zum Manne fragen, so erhalten wir gewiß ein Achselzucken zur Antwort: "Der Mann von heute? Er mag ja recht viel nützliche Dinge vornehmen, elektrische Bahnen bauen, Handelsverträge schließen - überhaupt ein höchst fortgeschrittener Mensch sein aber in bezug auf die Frau Gott erbarme sich! da ist er so rückständig in seinem Denken und Empfinden, daß er sich getrost mit jedem Negerfürsten, der ein paar hundert schwarze Schönen sein eigen nennt, wortlos verständigen könnte; in bezug auf die Frau ist ihre Kulturhöhe ziemlich die gleiche. Wir müssen eben auf den Mann von morgen warten." - Ich freue mich, diesem tiefen Pessimismus gegenüber feststellen zu können, daß dieser Mann der Zukunft sich schon hier und dort zeigt. - Für den aufmerksamen Beobachter unseres geistigen Lebens ist es seit längerer Zeit zweifellos, daß es unter den Männern gärt. Sie haben es satt, daß die Frauen allein sich um Dinge kümmern, die doch die Männer mindestens ebenso nahe angehen, daß sie Ziele erstreben, deren baldige Erreichung auch für den Mann von höchster Bedeutung ist. Sie finden es unerhört, daß Einrich-

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tungen und Zustände, die gerade dem Manne den höchsten Vorteil gewähren würden, allein von dem schwächeren Geschlecht erkämpft werden sollen, das ihm diese guten und schönen Dinge dann großmütig in den Schoß werfen würde. Sie empfinden längst, daß das gegen ihre männliche Ehre geht. So sehen wir denn mit Freude und Genugtuung, daß die geistige Elite der Männer sich regt und im Begriff steht, sich zu einer Verbindung zusammenzuschließen, die versuchen will, den Frauen im Kampf an die Seite zu treten, vor allem aber, unter den Männern die Erkenntnis zu wecken, daß es sich hier um ihr allereigenstes Wohl und Wehe handelt.

Wenn auch natürlich noch alles im Werden ist, so läßt sich doch heute schon einiges aus dem Programm der künftigen "Männerbewegung" verraten.Im Vordergrund steht, wie sich das für einsichtsvolle Menschen am Ende des neunzehnten Jahrhunderts von selbst versteht: die wirtschaftliche Frage. Die Führer der Männerbewegung wollen es nicht mehr dulden, daß die Frauen sie wie bisher unterbieten und ihnen so Schmutzkonkurrenz machen sie treten also mit aller Energie für gleichen Lohn bei gleicher Leistung ein. Da der Mann ja augenblicklich noch ziemlich im Alleinbesitz aller irdischen Macht und Herrlichkeit ist, erwarten sie, daß ein einmütiges, entschlossenes Vorgehen in dieser Sache von Erfolg begleitet sein wird.Sie wollen sich auch nicht länger um die besten und höchsten Freuden der Jugend betrügen lassen, wie es jetzt geschieht, wo der Mann seine

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schönsten, lebenskräftigsten Jahre in Gesellschaft von Dirnen oder zweifelhaften Verhältnissen verbringt. Sie erstreben deshalb vor allem die Umgestaltung der sozialen Verhältnisse, auch für die gebildeten Stände eine frühere Heiratsmöglichkeit zu erreichen, und ferner die Umgestaltung des gesellige Verkehrs, der jetzt die Geschlechter in so lächerlich enger, unerhörter Weise trennt, daß ganze Klassen von Frauen ihr Leben fast nur unter Frauen leben, während der Mann vielleicht eine größere Zeit seines Lebens mit zweifelhaften als mit anständigen Frauen verbringt. Um aber einen freieren, edleren, genußreicheren Verkehr der Geschlechter zu ermöglichen — wie er zum Teil in Amerika und England schon besteht — der dem natürlich immer "geistige" Interessen wahr-nehmenden Manne auch genügend Reiz und Anziehung gewährt, ist vor allein eine radikale Änderung der weiblichen Bildung nötig.

Die Männer verlangen deshalb energisch eine gründliche, moderne Bildung für die Frau, die sie in den Stand setzt, die hohen Interessen des Mannes zu teilen und ihm in den komplizierten Verhältnissen des modernen Lebens nicht nur eine verständnislose, hemmende Gefährtin, sondern Mitkämpferin und Mitgenießerin aller seiner hohen geistigen Freuden zu sein. Es geht gegen ihr Ehrgefühl, daß die Frauen noch länger den Mann nehmen, der sich ihnen zufällig anträgt — mag sein Vorleben gewesen sein, wie es will — nur, um versorgt zu sein. Sie verlangen deshalb, daß man jeden jungen, gesunden Menschen — ob Mann, ob Weib — dazu erziehe, einen Beruf auszuüben, daß man ihn erwerbsfähig mache. Denn erst, wenn die Frau auch o h n e den Mann und

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ne b e n dem Manne wirtschaftlich selbständig dasteht, wird es eine Ehre, eine Auszeichnung für den Mann sein, die beste, tüchtigste Frau zu besitzen. Heute hat der Mann keine Sicherheit dafür, daß er seiner persönlichen Vorzüge wegen genommen wird ob ihm das nun zum Bewußtsein kommt oder nicht. Und dann trägt es natürlich bedeutend zur Erleichterung einer Eheschließung bei, wenn die Frau imstande ist anstatt sich erhalten zu lassen, selbständig zu erwerben, so daß nicht jene entsittlichende wirtschaftliche Abhängigkeit auf der einen, jene verrohende Alleinherrschaft auf der andern Seite eintritt, die die Ursache so vieler unglücklicher Ehen ist. Zwei Menschen, die wirtschaftlich unabhängig voneinander sind, haben es viel leichter, dauernd eine ideale Beziehung untereinander aufrecht zu halten, als das unter den jetzigen Verhältnissen möglich ist.

Die Männer der Zukunft erstreben natürlich auch eine Reihe von Reformen auf rechtlichem Gebiet speziell die Änderung einer Reihe von Paragraphen des Bürgerlichen Gesetzbuches. Es ist ihnen schon längst eine Schmach gewesen, daß fast allein die Frauen es waren, die flammenden Protest einlegten gegen Dinge, die jedem feinfühlenden, edlen Manne die Schamröte ins Gesicht treiben müssen. Wir erinnern hier nur an den Satz: "Der Vater ist mit seinem unehelichen Kinde nicht verwandt." Wer hat diesen ungeheuren Hohn auf alle natürlichen, ehrenhaften Gefühle nur erdacht? Woher sollen die Männer bei solchen, von ihnen allein gemachten Gesetzen des staatlich geschützten Lasters hier gar nicht zu gedenken noch den Mut nehmen, von der

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ewigen, naturgesetzlichen Überlegenheit des Mannes zu reden die sie doch wenigstens der Frau gegenüber, die sie lieben aufrecht erhalten möchten? Sie begreifen es allmählich: das Höchste und Heiligste, was es bisher auf Erden gab: die Überlegenheit des Mannes an die auch die fortgeschrittenste Frau gerne glauben möchte, wenn es möglich wäre ist in höchster Gefahr sie würde zum bitterem Hohn und Spott werden, wenn die Männer sich nicht schleunigst aufraffen! Besonders, wenn die Frauen nun ernste, wissenschaftliche Studien beginnen. Wenn sie die Natur-und Sittengeschichte aller Völker und Zeiten an sich vorüberziehen lassen wenn sie medizinische Studien treiben und den Greuel der Verwüstung entdecken, den die schrankenlose Betätigung des männlichen Geschlechtstriebes in der Menschheit anrichtet, wenn sie tiefer in den komplizierten Organismus des Staates und der Gesetze blicken wenn sie die Literatur aller Zeiten nicht nur für Frauen ausgewählte kennen lernen - dann wird sie zuerst ein Schauder ergreifen. Sie werden merken, daß sie bis dahin in einer Welt gelebt haben, die es gar nicht gibt und sie werden sich vergebens fragen, warum man so grausam ist, sie so zu erziehen, daß sie die Wirklichkeit gar nicht ertragen können. Aber sie werden begreifen, warum der Mann immer über ihre törichte Romantik und ihren hochfliegenden Idealismus gespottet hat: ihm freilich wird all dergleichen durch die Berührung mit dem Leben recht gründlich schon in den ersten Semestern ausgetrieben!

Sie werden zu ihrem Schmerz erfahren, daß

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die "gottgewollte" Überlegenheit des Mannes in sittlicher Beziehung noch gar nicht existiert daß sie erst noch erworben werden muß. Sie werden sehen, daß es keinen Mißbrauch, keine Vergewaltigung, keine Scheußlichkeit gibt, die der Mann nicht am Weibe ausgeübt daß auch der Mann erst Mensch, höherer Mensch als bisher werden muß, wenn er vor der wissenden, strebenden Frau noch länger als Mann, als etwas, das Ehrfurcht fordern darf, dastehen will.

Es wird sie ein unerträgliches Grauen vor dem "Jetzt und Ehemals" menschlichen Zusammenlebens ergreifen und sie wird es nicht ertragen, wenn sie nicht "Seher und Verkünder dessen wird, was kommen muß". Aber das, was kommen muß, herbeizuführen, reicht ihre Kraft allein nicht aus. Erst Mann und Weib zusammen können das erreichen; denn das Höchste und Beste des Lebens erblüht nur im Zusammenleben zweier Menschen, die alles miteinander teilen können:

Hohes und Tiefes, geistige und sinnliche Freuden, Arbeit und Genuß oder besser gesagt, da in der Arbeit im Dienst einer Idee der höchste Genuß liegt, die miteinander darnach streben, die tiefe Kluft der Fremdheit, die heute noch zwischen Mann und Weib herrscht, auszufüllen das ist ein Ziel und eine Aufgabe, die des Schweißes aller Edlen wohl wert ist!

Dazu müssen freilich nicht nur die Frauen, dazu müssen auch die Männer in anderm Geiste erzogen werden. Sie müssen sich, die Selbstachtung und das Feingefühl der Persönlichkeit erwerben, das ihnen die Wollust ohne persönliche Liebe als das zeigt, was sie ist: als einen rohen, brutalen Akt, auf den als Naturstrafe der Ekel

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folgt. Erst in der vergeistigten Sinnlichkeit, in der Liebe" wird sie das " Gartenglück der Erde, die größte Herzstärkung und der ehrfürchtig geschonte Wein der Weine". Sie müssen begreifen lernen, daß der Mann, der die Wollust kauft, keinen höheren Anspruch auf Achtung hat als die, von der er sie kauft mag er sieh noch so gerne darüber hinwegtäuschen wollen.

Und deshalb verstehen die Männer der Zukunft es auch, warum heute so viele der besten, tüchtigsten Frauen auf die Ehe und die Mütterlichkeit verzichten. Sie beginnen zu ahnen, daß es für die Frau oft mehr "Askese" wäre, sich mit dem Mann wie er im allgemeinen ist zu verbinden. Sie verstehen, daß es gerade das Beste in der Frau der mütterliche Instinkt ist, der davor zu rückschreckt, den Mann zu umarmen, der sein bestes an Lebenskraft bereits vergeudet hat. Es geht ihnen Ahnung davon auf, welch eine physische und psychische Qual und Demütigung es sein muß, wenn der Frau in der heißesten Umarmung zum Bewußtsein kommt, daß der Mann ja ebenso schon andere und was für andere! umarmt hat!

Die strenge Zucht in sexueller Beziehung, die jahrhundertelang auf der Frau ruht, hat ihr das Feingefühl anerzogen, sich nur ganz oder gar nicht wegzugeben alles andere würde ihr eine Zerstörung der intimsten Persönlichkeit bedeuten. Ein Vorzug, der sie wie durch einen Kulturunterschied von ein paar tausend Jahren vom Manne trennt und den doch nur der Mann ganz zu genießen und auszukosten vermag der selbst ein ähnliches Feingefühl besitzt. Es wäre Lästerung, daran zu zweifeln, daß der Mann bei seiner notorischen

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"Überlegenheit" dies Feingefühl nicht erreichen könnte. Nicht irgendeiner asketischen Moral —-einem feineren Selbstgenuß einer Höherzüchtung der Persönlichkeit zu lieb ob das den Versuch nicht lohnte?

Bei der Frau strafe sich jede Ausschreitung durch die Konsequenzen der Mann ginge ungestraft daraus hervor sagen die Leute von gestern. Tut er das wirklich? Kann man die Geißel der Menschheit, die Geschlechtskrankheiten für nichts rechnen? Und selbst wenn das nicht alle trifft der Verlust, den er innerlich erleidet der zartesten Scheu, das Intimste auch nur mit dem geliebtesten Menschen teilen zu wollen, sich nur an einer symmetrischen Persönlichkeit genügen zu lassen ist das alles nichts? Er muß schon sehr geschädigt sein, daß er diesen Verlust nicht einmal mehr bemerkt!

"Es zahlt sich teuer, zur Macht zu kommen, die Macht verdummt", sagt Nietzsche. Ach, sie verdummt nicht nur, sie verroht auch und des- halb müssen vor allein auch die Männer besser erzogen werden das ist der Kern der "Frauenfrage", so paradox das klingt. Zu den Umwandlungen in wirtschaftlicher, gesellschaftlicher, rechtlicher und sittlicher Beziehung kommen die auf politischem Gebiet.

Wenn die Frau früher, so lange sie teilnahmslos und untätig verharrte, es nicht besser verdiente, so soll nun, wo sie wirtschaftlich selbständig wird, auch ihr Interesse am Wohl des Ganzen geweckt und gepflegt werden. Der Mann ist ihrer ewigen Verständnislosigkeit für alle großen, allgemeinen Ziele, ihrer, engen, kleinlichen Auffassung müde,

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die nicht ahnt, daß vom Wohl des Ganzen schließlich doch auch das einzelne, persönliche abhängt. Die Frau, die ihm jetzt stets als Fessel am Fuß hängt, wenn er Großes, Kühnes unternehmen will, soll lernen, seine edlen Pläne zu unterstützen und zu fördern. Sie soll lernen, die notwendigen Ansprüche ihres Geschlechtes zu formulieren, zu vertreten und verwirklichen zu helfen —- sie soll helfen, der Mutterschaft der Frau mit ihren Sorgen und Mühen eine gerechtere Würdigung zu verschaffen !Über den engen Raum des Hauses, über das enggebundene, persönliche Glück hinaus soll die Frau ihren Blick auf das Ziel des Volkes und der Menschheit richten lernen.

Die Männer der Zukunft beginnen einzusehen, daß sie sich bisher schlecht auf ihren eigenen Vorteil und ihre eigene Hochachtung verstanden, da der Mensch, den sie zu ihrer lebenslänglichen Gesellschaft wählten, nicht klein und niedrig genug sein konnte von aller höheren Kultur ausgeschlossen! Wie wenig hoch muß der Mann selbst noch gewesen sein, daß er das ertragen konnte!Um aber "höhere Menschen" als bisher zu schaffen, dazu ist die Mitarbeit des Mannes so nötig wie die der Frau, eine Änderung der Erziehung des Mannes nicht minder wichtig, wie die des Weibes. In diesem Sinne stellen sich die Männer von morgen an die Seite der strebenden Frauen, in diesem Sinne suchen sie das schlummernde Ehr-und Feingefühl des Mannes zu wecken, da sie die Gefahr erkannt haben, daß sonst die besten Frauen am Manne verzweifeln und ihn verachten lernen. Der Mann, dem die Kenntnis des "Lebens" noch

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die Fähigkeit, Großes und Hohes zu erstreben, gelassen hat, der sagt mit der Frau: "Das Jetzt und Ehemals das ist mein Unerträglichstes und ich wüßte nicht zu leben, wenn ich nicht Seher und Verkünder und Verwirklicher dessen wäre, was kommen muß!"